Mit 30 Jahren zählt das FILMFEST DRESDEN schon zu den älteren Semestern, denn in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Festival-Neugründungen deutschland- und weltweit geradezu explodiert. Ganze 18 Filmfestivals, darunter etablierte und eine ganze Reihe neuer, verzeichnet filmfestival-studien.de allein für Sachsen, 400 für Deutschland. Innerhalb der Filmwirtschaft, die schon lange nicht mehr über das Kino funktioniert, sind sie eine feste Größe und fester Bestandteil des Verwertungskreislaufs eines Films – als Katalysator, Marktinstrument oder, gerade im Kurzfilmbereich, Abspiel- und Einnahmemöglichkeit. Zudem haben auch die Kommunen begriffen, dass ein Filmfestival als Standortfaktor wirkt, Identität schafft, den Tourismus ankurbelt und Einnahmen generiert. Doch diese Erfolgsgeschichte hat zwei Seiten. Denn das Wachstum war und ist nur möglich durch die (Selbst-) Ausbeutung tausender Festivalarbeiter*innen.
Jedes Filmfestival funktioniert in einem bestimmten Rahmen, als Publikumsfestival oder Branchentreffpunkt, mit Markt und/oder Rahmenprogramm, immer mit Gästen und Filmgesprächen, und jedes Festival ist kuratiert. Dies zu realisieren erfordert viel Know-how und Branchenkenntnis. Ein Gästebüro oder Ticketsystem zu managen, ein Programm zu kuratieren, Kopien zu disponieren, Programme zu koordinieren und Rechte zu verhandeln, Sponsoring zu akquirieren, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Markt- und Branchenveranstaltungen zu organisieren, zu moderieren usw. usf. – all dies sind hochspezialisierte Berufsfelder. Wer sie ausübt, arbeitet zumeist professionell, mit Hochschulabschluss und Berufserfahrung, jederzeit flexibel – und oft prekär oder nach willkürlichen Gesichtspunkten befristet angestellt, unterbezahlt und jenseits gültigen Arbeitsrechts.
Während für den Rest der Filmbranche mittlerweile Tarife gelten bzw. Honorarempfehlungen für die einzelnen Gewerke existieren, ist die Festivalbranche meilenweit davon entfernt. Zwar gilt auch hier seit 2015 der gesetzliche Mindestlohn und gerade in Sachsen wurden einzelne Festivals wie DOK Leipzig hierfür mit nennenswerten zusätzlichen Summen aus öffentlicher Hand ausgestattet. Doch viele Positionen, oft die der „Kreativen“, sind mit Honorarkräften (am Rande der Scheinselbstständigkeit) und – mit Blick auf das tatsächliche Arbeitspensum – letztendlich weit unter Mindestlohnniveau besetzt.
Es zeigt sich: Man muss über Geld reden. Um z. B. festzustellen, dass auch im Festivalbetrieb Männer mehr verdienen als Frauen, im Westen mehr gezahlt wird als im Osten und generell keine Standards existieren. Eine Studie dazu ist in Arbeit. In einer Branche von Einzelkämpfer*innen herrscht zudem kein Bewusstsein darüber, dass es ein Arbeitsrecht gibt, das auch für Festivalarbeiter*innen gilt. Niemand muss sich endlos befristet anstellen lassen, unter Wert arbeiten und es hinnehmen, wenn willkürlich Kündigungen ausgesprochen oder Verträge nicht verlängert werden. Ganz davon abgesehen, dass derartige Vorgänge eine Festivallandschaft nicht attraktiver machen. Allein dies sollte ein Grund für Förder*innen sein, bei der Vergabe öffentlicher Mittel die Einhaltung sozialer Standards (nicht nur für Festangestellte!) als Kriterium einzuführen, wie das in der Filmförderung schon gang und gäbe ist.
Vor allem aber ist es Sache der Festivalarbeiter*innen selbst, für ihre Rechte einzutreten, sich zu vernetzen und zu organisieren. Als 2016 aus einem Partygespräch bei der Berlinale eine bundesweite Initiative von vier Aktiven von Festivals aus München, Kassel, Nürnberg und Leipzig entstand und diese wenig später einen ersten Aufruf auf Facebook postete, war die Resonanz überwältigend. In kürzester Zeit wurde er landesweit geteilt, und zu einem ersten Treffen im Herbst 2016 kamen rund hundert Kolleg*innen nach Leipzig.
Auf die Euphorie des Aufbruchs folgten Monate des Ringens um eine arbeitsfähige Struktur. In einer Online-Befragung entschied schließlich eine Mehrheit, sich als Gruppe Festivalarbeit unter dem Dach von ver.di zu gründen. Dies verschafft Zugang zu funktionierenden Strukturen, hauptamtlichen Mitarbeiter*innen und einem enormen Know-how in Bezug auf Arbeitsrecht und-kampf. Zudem sind mit einer schlagkräftigen Organisation wie ver.di perspektivisch die Aushandlung von Tarifen sowie Verhandlungen mit der Künstlersozialkasse – ein weiteres Problemfeld für Festivalarbeiter*innen – möglich. Außerdem bietet ver.di Rechtsschutz und –vertretung in Konfliktfällen – was von ersten Kolleg*innen bereits erfolgreich genutzt wurde. Natürlich brauchen auch Festivals selbst eine starke Lobby in der Politik, denn nur mit ordentlich ausgestatteten Budgets (über die Förderung einzelner Projekte hinaus) können Mitarbeiter*innen angemessen entlohnt werden. Hierfür befindet sich ein bundesweiter Verband der Festivals in Gründung.
Unterdessen hat die Gruppe Festivalarbeit in ver.di ihre Arbeit aufgenommen. In der nahen Zukunft geht es darum, eine starke Einheit innerhalb der Gewerkschaft aufzubauen und vor allem die Kolleg*innen bei den Festivals über ihre Rechte zu informieren. Darüber hinaus gilt es, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nur faire Festivals gute Festivals sind.
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